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Langer Schatten der Diktatur
Südkoreas Verfassungsgericht verbietet linke Oppositionspartei UPP. Kritiker beklagen Ende der Demokratie
Von Michael Streitberg
Als Lee Jung-hee, Vorsitzende der linken Vereinigten Fortschrittlichen Partei (UPP), zu ihren vor dem Verfassungsgericht in Seoul versammelten Anhängern sprach, hatte sie Tränen in den Augen: »Der heutige Tag markiert den Untergang unserer Demokratie«, brachte sie ihre Empfindungen nach dem kurz zuvor erfolgten Verbot ihrer Partei am Freitag vormittag zum Ausdruck. Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye, Tochter des langjährigen Militärdiktators Park Chun-hee, sei zum diktatorischen Führungsstil ihres Vaters zurückgekehrt. Das Verfassungsgericht habe die Tür entriegelt, »die uns zum Totalitarismus führt«, wird Lee vom Korean Herald zitiert.
Mit acht zu einer Stimme hatte das Gericht das Verbot und die Auflösung der UPP verfügt. Die Programmatik und Aktivitäten der Partei verstießen gegen die »grundlegende demokratische Ordnung«, zudem verfolge sie die »verborgene Absicht«, ein dem nordkoreanischen Modell vergleichbares politisches System einzuführen, äußerten die Richter laut der Nachrichtenagentur Yonhap. Damit endet das Verfahren gegen die UPP, das Südkoreas rechtskonservative Regierung bereits Anfang des Jahres angestrengt hatte. Die UPP verliert damit ihre ihre fünf von 300 Sitzen im Parlament, auch das Parteivermögen wird vom Staat eingezogen.
Bereits am 17. Februar war der UPP-Abgeordnete Lee Seok-ki zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden, mehrere weitere Mitglieder der UPP wurden ebenfalls inhaftiert. Lee wird vorgeworfen, bei einem Treffen mit Parteianhängern einen pro-nordkoreanischen Umsturz in Südkorea geplant zu haben. Die UPP bestreitet derartige Aussagen und weist Verbindungen mit der Regierung Nordkoreas entschieden zurück. Ebenso verneint sie die Absicht, dessen politisches System einführen zu wollen. Während des besagten Treffens habe Lee lediglich Überlegungen darüber angestellt, was im Falle eines Kriegsausbruchs zwischen Nord- und Südkorea unter Beteiligung der USA zu tun sei. Einige Parteimitglieder, so ein Bericht des kanadischen Centre for Research on Globalization vom 1. Oktober 2013, hätten für diesen Fall Schritte zur Behinderung des US-Militärs in Südkorea vorgeschlagen. Lee Seok-ki habe dies jedoch abgelehnt und statt dessen die Notwendigkeit einer pazifistischen Massenbewegung betont. Auch habe er die Befürchtung geäußert, im Falle eines Krieges könne es zu massiven Repressionen gegen fortschrittliche Kräfte kommen. Angesichts der vom US-gestützten südkoreanischen Regime während des Korea-Kriegs von 1950 bis 1953 verübten Massenmorde an Zehntausenden Linken sind derartige Gedanken keineswegs weit hergeholt. Auch äußerten mehrere Beobachter den Verdacht, die den Medien vom Geheimdienst NIS zugespielten Mitschnitte des Gesprächs seien von staatlichen Stellen manipuliert worden.
Während das Gericht den Anklagepunkt der Bildung einer »revolutionären Organisation« im November fallen ließ, hielt es den Vorwurf des Aufrufs zur Gewalt aufrecht. Zudem habe Lee gegen das »Nationale Sicherheitsgesetz« verstoßen.
Das bereits 1948 erlassene, vage formulierte und nahezu beliebig auslegbare Gesetz, wird seit jeher gegen pro-nordkoreanische Einzelpersonen und Gruppen, aber auch gegen unterschiedliche linke Strömungen angewendet. Am 4. März berichtete der britische Guardian etwa über eine zweieinhalbjährige Haftstrafe, die ein 70jähriger Mann wegen seines Lobs für Nordkorea erhalten hatte.
Nach dem Urteil gegen die UPP steht zu befürchten, dass dieses den Auftakt zu weiteren Repressionen gegen die politische Linke darstellt. Aussagen von Park Han-chul, dem Vorsitzenden Richter im UPP-Verbotsverfahren, wirken wie eine unverhohlene Drohung gegen Oppositionelle: »Ich hoffe, dass die heutige Entscheidung die zeitraubende ideologische Debatte in unserem Land beenden wird«, äußerte Park laut Onlineausgabe der Japan Times am Freitag.
Amnesty International kritisierte derweil das Urteil: »Das Verbot der UPP wirft ernsthafte Fragen über die Verpflichtung der Behörden gegenüber der Meinungs-und Informationsfreiheit auf«, äußerte AI-Vertreterin Roseann Rife in einer Erklärung.